So wie Du warst
Eine Kurzgeschichte von G.S. Fate
„Steffen – nein, hör auf!“, hallte es verzweifelt durch das kleine Badezimmer, welches im sachten Licht des Vollmondes erhellt wurde. „Bitte, leg es weg!“, flehte Maria ihren Freund an, während sie mit langsamen Schritten auf ihn zutrat. Die Hand bittend nach ihm ausgestreckt, in der Hoffnung, dass Steffen aufhören würde. Es unterlassen würde, sein Vorhaben in die Tat umzusetzen. Doch es war schon zu spät.
Ohne Maria nur einen einzigen Blick zu würdigen, schloss Steffen seine Augen. Atmete tief durch. Blendete seine Umgebung für diesen einen Moment aus. Wollte nichts mehr sehen. Nichts mehr hören. Sich seinem Schicksal hingeben und alles vergessen. Seinen Gedanken keinen Raum mehr schenken, ihn einzunehmen. Diesen schrecklichen Erinnerungen entfliehen, welche ihn wieder eingeholt hatten.
Mit festem Finger drückt der Blondschopf auf dem kalkweißen Boden ab. Dabei entwich Steffen ein schwerer Atemzug aus seiner Lunge, während es Maria die Luft raubte. Ihr Herz für einen Schlag aussetzte.
Abrupt blieb die Mitte zwanzigjährige im Raum stehen. Hielt weiter die Luft an und blickte mit weit aufgerissenen Augen auf Steffen nieder.
Maria glaubte, ihr Ding in der Brust zerspringe in tausend Stücke. Durchzog sie mit einem quälenden Schmerz, welchen sie gehofft hatte, nie wieder in ihrem Leben spüren zu müssen.
Eine Träne löste sich von ihrer kurzen Wimper. Rollte unbeholfen über ihre Wange. „Warum?“, winselte Maria immer und immer wieder. Schüttelte ungläubig ihre schwarze, halblange Mähne. „Wie – warum?“ Aber auch hier reagierte Steffen nicht auf seine langjährige Freundin. Ließ genüsslich seinen Kopf in den Nacken fallen, während sich ein schmales Grinsen auf seinen Lippen formte. Gab sich dem wärmenden Gefühl hin, welches sich begann in ihm auszubreiten. Bliss erleichtert die Luft langsam aus seinem Mund, nachdem die Welle seinen Kopf erreicht hatte. Die schrecklichen Erinnerungen mit einem Schwall aus seinem Kopf weggespült hatte.
Erstarrt stand Maria weiter da. Wie ein Stein konnte sie sich nicht rühren, obwohl Maria am liebsten ihre Beine in die Hände genommen hätte und davonrennen wollte. Diesem schrecklichen Bild, welches ihr bot, entrinnen. Jedoch wollten sich ihre Beine einfach nicht bewegen. Wollten sie nicht davontragen, egal wie sehr sie es sich gewünscht hatte.
So stand Maria einige Zeit reglos weiter da. Starrte auf das Häufchen Elend vor ihr hinunter. Vernahm dumpf, wie die Spritze aus der Hand ihres Freundes auf die Kacheln fiel. Wie das kullernde Ding auf ihre Füße zurollte.
Wie automatisiert folgte Maria mit ihrem leeren Blick der Spritze. Folgte dieser, bis sie zum Stehen kam. Allmählich wich der reißende Schmerz in ihrer Brust der aufkochenden Wut.
Wie von Zauberhand füllte sich ihr Blick. Wurde wieder klarer. Ihre hellblauen Augen verdunkelten sich. Blitzen vor Zorn auf. „Du bist das Allerletzte!“ Ohne ein weiteres Wort an Steffen zu verlieren, drehte sich Maria auf ihren nackten Fersen ab. Stampfte wutentbrannt aus dem Badezimmer. Lief mit schnellem Gang durch den Flur. Griff nach ihrer Jacke, riss die Wohnungstür auf und verschwand im dunklen Treppenhaus.
Die stickige Luft des Treppenhauses schnürte Maria die Kehle zu. Durch den heißen Sommertag hatte sich die Wärme regelrecht angestaut, was auch die nächtliche Zeit nicht gemindert hatte. So flog Maria die Treppen herunter. Stürmte wie ein Wirbelwind aus dem Haus in die dunkle Nacht hinaus und holte mit dem ersten Schritt nach draußen tief Luft.
Wie eine Erlösung weiteten sich die Lungen der jungen, aufgebrachten Frau. Doch die Wut, wie auch das Davonbrausen aus ihrer Wohnung, ließ ihr Blut durch ihre Adern weiter pulsieren. Ließ sie nicht zur Ruhe kommen.
Wütend richtete Maria ihren verkniffenen Blick in die Finsternis. Kramte all ihren Zorn auf Steffen zusammen und marschierte in die Nacht. Mit jedem Schritt kurbelte es bei Maria ihre Gedanken an. Erinnerte sie daran, was sie alles schon mit diesem Mann durchstehen musste. Aber auch, welch schöne Zeit sie gemeinsam miteinander verbracht hatten. All das brachte die Gefühle bei ihr zum Überquellen. Ließen sie fühlen, wie sehr es sie damit umherschleuderte. Nicht wusste, ob sie nun in der Wut alles in den Ecken schwarten sollte, oder es doch wegen ihrer Liebe zu ihm mit ihm erneut durchstehen wollte.
Verzweifelt, auf keine Antwort zu kommen, merkte Maria nicht einmal, wie sie bereits durch den naheliegenden Park wanderte. Wie die Wolken über ihr sich zusammengezogen hatten. Es nicht mehr lange dauern würde, bis der angekündigte Sommersturm über die Stadt fegen würde. Ungeachtet der anrollenden Witterung setzte sich Maria auf die verlassene Bank weit hinten in dem Park. Legte ihren Kopf in die Hände, nachdem sie ihre Ellenbogen auf ihren Knien abgestützt hatte.
In Gedanken verloren, blickte Maria auf den Kies zu ihren Füßen. Suchte in den kleinen Kieselsteinen nach einer Antwort. Nach einer Lösung. Oder zumindest nach einem Zeichen, was sie tun sollte. Aber egal, wie lange sie auf den Boden starrte, es kam nichts. Außer die aufkommenden Tränen, welche ihre Bahnen gefunden hatten, erreichten Marias Augen. Kullerten ungehindert über ihre heißen Wangen. Tropften auf ihre Bluejeans und färbten diese dunkel.
„Was soll ich nur tun?“, betend, richtete die junge Frau ihren Kopf in den wolkendurchzogenen Himmel. In diesem Moment löschte die Parklaterne neben ihr das Licht. Legte alles in eine stockfinstere Dunkelheit. Brachte eine angsteinflößende Stimmung auf, welche sich durch den ganzen Park aufbäumte.
Aus dem Nichts krächzte eine Eule auf. Sofort zuckte Maria zusammen. Blickte verängstigt von der einen Seite auf die andere. Ein eiskalter Schauer zog sich über ihren ganzen Rücken. Fröstelte Maria bis ins Mark. Wie von einer Tarantel gestochen, schoss sie von der Parkbank auf. Rannte ohne zu überlegen los. Eine düstere Vorahnung breitete sich in ihr aus, dabei strömten immer mehr Tränen über ihr Gesicht.
Wie der Teufel höchstpersönlich hinter ihr her war, hetzte Maria zurück. Stürmte durch die Eingangstür ins Treppenhaus und brauste die Stufen in den dritten Stock hinauf.
Außer Atem stieß Maria ihre Wohnungstür auf. Suchte nach einem Lebenszeichen ihres Freundes. Da donnerte es panisch durch die Räume: „Steffen!“
Wie automatisiert eilte Maria durch ihre Wohnung ins Badezimmer und blieb sofort im Türrahmen stehen. „Steffen?“, ihre Stimme wurde hauchdünn. Maria begann langsam ihren Kopf zu schütteln. Tastete geistesabwesend nach dem Lichtschalter neben der Tür und drückte diesen, nachdem sie den Schalter ertastet hatte. Auf Knopfdruck wurde es grell. Das Licht durchflutete das schneeweiße Badezimmer und gab den klaren Blick auf Steffen frei.
Ungehindert donnerte Maria auf ihre Knie herunter. Fiel ihrem Freund um den Hals und ein herzzerreißender Schrei löste sich aus ihrer Kehle. Durchdrang bitterlich die Wohnung.
Behutsam fuhr Maria über die blutende Einstichstelle, wo das weiße Gift seinen Weg in die Adern von ihrem Freund gefunden hatte. Sich mit seinem Blut vermischte und ihm einen allerletzten Rausch seines Lebens bescherte.
Schluchzend legte die junge Frau ihren Kopf auf die reglose Brust ihres Freundes: „So wie Du warst, werde ich Dich in meinem Herzen tragen.“